15.1.11

Fragen zur Reinkarnation II

Rudolf Steiner

SIND AUFEINANDERFOLGENDE INKARNATIONEN ÄHNLICH?

Erstveröffentlichung: „Lucifer-Gnosis“, Nr. 19, Dezember 1904 – Fragenbeantwortung (GA Bd. 34, S. 373-374) 

Eine zweite Frage ist die folgende: 
«Sind zwei aufeinanderfolgende Inkarnationen eines Menschen einander ähnlich, so dass zum Beispiel ein Architekt wieder als Architekt, ein Musiker als Musiker geboren wird?» Das kann der Fall sein, muss es aber durchaus nicht. Es kommt solche Ähnlichkeit allerdings vor; sie ist aber keines Wegs die Regel. Man kommt auf diesem Gebiete leicht zu falschen Vorstellungen, weil man über die Gesetze der Wiederverkörperung sich Gedanken macht, die zu sehr an Äußerlichkeiten hängen. Jemand liebt zum Beispiel südliche Gegenden und glaubt deshalb: er müsse in einem früheren Leben ein Südländer gewesen sein. Solche Neigungen aber berühren den Ursachenkörper gar nicht. Sie haben überhaupt so unmittelbar nur für das eine Leben eine Bedeutung. Was von einer Verkörperung in die andere hinüberwirkt, muss tiefer im Wesenskern des Menschen sitzen. Man nehme zum Beispiel an: jemand sei in einem Leben Musiker. In den Ursachenkörper hinein reichen die geistigen Harmonien und Rhythmen, die sich in Tönen ausleben. Die Töne selbst gehören dem äußeren physischen Leben an. Sie sitzen in den Teilen des Menschen, die entstehen und vergehen. Der Kama-Manas-Leib (die Verstandes- oder Gemütsseele), der einmal für Töne der geeignete Apparat ist, kann es in einem nächsten Leben für die Anschauung von Zahlen- und Raumverhältnissen sein. Und aus dem Musiker kann ein Mathematiker werden. Gerade durch diese Tatsache macht sich der Mensch im Laufe seiner Verkörperungen zu einem allseitigen Wesen, indem er durch die mannigfaltigsten Lebensbetätigungen durchgeht. Aber es gibt, wie gesagt, Ausnahmen von dieser Regel. Und diese sind dann aus den großen Gesetzen der geistigen Welt erklärlich.

Fragen zur Reinkarnation

Rudolf Steiner

WIEDERVERKÖRPERUNG – IM HILFLOSEN KINDE?

Erstveröffentlichung: „Lucifer-Gnosis“, Nr. 19, Dezember 1904 – Fragenbeantwortung (GA Bd. 34, S. 373-374)

Es wird folgende Frage vorgelegt: «Kann man es nach der Lehre von Wiederverkörperung und Karma verstehen, dass eine hochentwickelte Menschenseele in einem hilflosen, unentwickelten Kinde wiedergeboren wird? Für viele hat doch der Gedanke etwas Unerträgliches und Unlogisches, immer wieder und wieder bei der Kindheitsstufe anfangen zu müssen.»

Wie der Mensch sich in der physischen Welt betätigen kann, das hängt ganz von den physischen Werkzeugen ab, die er hat. Höhere Ideen zum Beispiel können in dieser Welt nur zum Ausdruck kommen, wenn ein vollentwickeltes Gehirn vorhanden ist. So wie der Klavierspieler warten muss, bis ihm der Klavierbauer das Klavier so weit fertiggestellt hat, dass er auf demselben seine musikalischen Ideen wiedergeben kann, so muss die Seele warten mit ihren im früheren Leben erworbenen Fähigkeiten, bis die Kräfte der physischen Welt die körperlichen Organe so weit ausgebaut haben, dass sie ein Ausdruck dieser Fähigkeiten werden können. Die Naturkräfte müssen ihren Weg, die Seele auch den ihrigen gehen. Nun ist aber allerdings vom Anfange des Menschenlebens an ein Zusammenarbeiten der Seelen- und der Körperkräfte vorhanden. Die Seele wirkt in dem noch schmieg- und bieg-samen Kindeskörper aber so, dass dieser später ein Träger derjenigen Kräfte werden kann, die in früheren Lebensperioden erworben worden sind. Es ist ja durchaus notwendig, dass sich der wiedergeborene Mensch den neuen Lebensverhältnissen erst anpasse. Würde er einfach mit allem früher Erworbenen in einem neuen Leben auftreten, so würde er zu der umgebenden Welt nicht passen. Er hat ja seine Fähigkeiten und Kräfte unter ganz anderen Verhältnissen in einer ganz anderen Umwelt erworben. Er wäre, wenn er einfach in seinem früheren Zustande in die Welt eintreten wollte, ein Fremdling in derselben. Die Kindheitsperiode ist dazu da, den Einklang hervorzubringen
zwischen den alten Verhältnissen und den neuen. Wie würde sich ein noch so kluger Mensch der alten Römerzeit in unserer Welt ausnehmen, wenn er mit seinen erworbenen Kräften einfach in diese Welt hineingeboren würde? Eine Kraft kann erst dann angewendet werden, wenn sie sich mit der Umwelt in Harmonie gesetzt hat. Wenn zum Beispiel ein Genie geboren wird, so liegt schon die geniale Kraft im innersten Wesenskern des Menschen, den man auch den Ursachenkörper nennt. Der niedere Geistkörper (Kama manas, die Verstandesseele) und der Gefühls - und Empfindungskörper (Astralleib) sind aber anpassungsfähig, in einem gewissen Grade unbestimmt. Diese beiden Teile der menschlichen Wesenheit werden nun ausgearbeitet. Dabei wirkt von innen heraus der Ursachenkörper, von außen die Umgebung. Wenn diese Arbeit geleistet ist, dann können diese beiden Teile Werkzeuge der erworbenen Kräfte 
sein. - Es ist demnach weder etwas Unlogisches, noch etwas Unerträgliches in dem Gedanken, als Kind geboren zu werden. Unerträglich wäre es vielmehr, als fertiger Mensch in eine Welt hineingeboren zu werden, in der man ein Fremdling ist.

Aus: Lucifer-Gnosis:

Meditation

Frage: 

Du strebst nach Selbsterkenntnis? Wird dein sogenanntes Selbst für das Ganze der Welt morgen mehr bedeuten als heute, wenn du es erkannt hast?

Erste Antwort: 

Nein, wenn du morgen nichts anderes bist als heute, und dein Erkennen von morgen nur dein Sein von heute wiederholt.

Zweite Antwort:
Ja, wenn du morgen ein anderer bist als heute, und dein neues Sein von morgen die Wirkung deines Erkennens von heute ist 


(GA 34, S.33)